Tecks Spielwiese

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Auch woanders spielt man Eishockey

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Vorbemerkung (Nov. 2004):
Dieser Bericht entstand irgendwann 1983 - ich weiß nicht mehr genau. Aber zum Glück fand ich ihn noch in einem Sammelsurium von uralt-Backup-Disketten. Eine nicht unerhebliche Arbeit an Aufbereitung (für alle die die Zeiten noch erlebt haben: die Datei stand auf einer 5.25 Zoll (!!!) Floppy Disk in einem ANSI-Textformat) machte den Inhalt auch mit den Werkzeugen der heutigen Computertechnik wieder komfortabel lesbar. Eine Tatsache, die mich sehr freute, denn dieses Jahr spielen Bad Nauheim und Darmstadt gemeinsam in einer Liga: der Regionalliga Hessen (mir kommen gleich die Tränen). Beide haben zudem erklärtermaßen das gleiche Ziel, nämlich Aufstieg in die Oberliga...
Für alle Rote Teufel Fans, die ein kleines Geschichtsstündchen nehmen wollen: Bitte schön....

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Als mich mein Studentenschicksal 1981 nach Darmstadt verschlug, mußte ich notgedrungen weitestgehend auf mein größtes Hobby verzichten, dem ich seit frühester Jugend in Bad Nauheim frönte. Eishockey - ein Zauberwort, das noch immer mein ganzes Ego umzukrempeln versteht. Einmal die Stadiontore im Kurpark passiert, erwacht in mir der Mr. Hyde (oder ist es der Dr. Jekyll?) Egal: Jedenfalls bin ich ein andrer Mensch als im "normalen Leben". Sonst ein eher ruhiger Zeitgenosse (manche behaupten sogar boshafterweise zu ruhig), wurde ich (und kann es heute noch werden) zum tobenden Teufels-Fan, der seinen über alles geliebten VfL so lautkräftig unterstützt, daß regelmäßig die Stimmbänder nach einem Spiel für 1 bis 2 Tage lädiert waren.

Bar derartiger Freuden vegetierte ich über ein Jahr im tiefsten Eishockey-Niemandsland zwischen Bad Nauheim und Mannheim dahin, bis mich ein kleines, unscheinbares Plakat in der Darmstädter Fußgängerzone elektrisierte: EC Darmstadt gibt sein Debüt gegen den ERC Aschaffenburg.
Wow... die Geburtsstunde eines neuen Eishockey-Clubs!!! Und das genau vor meiner Nase!!! Klar, daß ich dabei sein mußte.

Voller Vorfreunde endlich wieder einmal das vertraute Geräusch eines unter einem Schlagschuß berstenden Schlägers zu vernehmen, löste ich ein Ticket am Eingang der Eishalle von Darmstadt-Weiterstadt. Erstaunt war ich aber bereits bei der Ankunft vor dem Station. Keine Menschenschlange vor dem Kassenhäuschen, keine Parkplatzprobleme, keine Fans mit selbstgestrickten Schals, Mütze und Pulli (Fan-Trikots waren damals noch lange nicht geboren)... sehr untypisch für ein Eisstadion (zumindest nach meinen damaligen Vorstellungen). Durch die Eingangshalle konnte man auf die Eisfläche blicken. Dort tummelten sich noch diverse Schlittschuhläufer beim Publikumslauf. "Fällt das Spiel etwa aus?", durchfuhr es mich erschrocken. Es waren nur noch 15 Minuten bis zum Spielbeginn. Aber weit gefehlt. Als ich meinen Geldbeutel zückte um die 3,- DM Eintritt zu löhnen, kam ein etwas beleibter Herr auf mich zu, um mir die Hand zu schütteln. Wie sich kurz darauf herausstellte, war es ein Funktionär des neugegründeten Vereins, der jeden Zuschauer per Handschlag willkommen hieß. - So etwas kannte man (gottlob) nicht aus Bad Nauheim. Nun ja, mehr als rund 60 Zuschauer, wohl meist Angehörige und Freunde der Akteure, waren auch nicht zu zählen.

Als ich dann endlich den Innenraum der Eisarena betrat, suchte ich verzweifelt und leider auch erfolglos die Zuschauerränge. Es gab einfach keine! Die ganze Halle bestand nur aus der Eisfläche, umgeben mit einer ca. 2 Meter breiten Betonpiste. Eigentlich erinnerte mich die ganze Halle mehr an eine Diskothek, als an ein Eishockey-Stadion. Von der relativ niedrigen Hallendecke hingen rotierende Glitzerkugeln. Bunte Spotlights und grell zuckende Lichterketten durchzogen die Halle. In der Kurve, wo sich in Bad Nauheim mein Stammplatz befand, wurde die unmittelbar hinter der Bande steil aufragende Betonwand von einem überdimensionalen Neonstern geziert.

Dann lösten sich meine Blicke von der Umgebung, denn die Spieler der beiden Mannschaften kamen aus der Kabine (wohl gemerkt aus "der" Kabine, nicht aus "den" Kabinen, denn es gab hier nur eine!) Aber keine gestandenen Mannsbilder, wie Tiger Müller, Pilo Knihs, Flipper Rainer Philipp oder Bill Lochead - die unumstrittenen Helden meiner bisherigen Eishockey-Fan-Karriere - betraten hier die Szenerie, sondern schmalbrüstige Poppertypen und bierbauchige Opas, denen das Trikot um den Leib spannte.

Auf das obligatorische Warmlaufen vor dem Spiel verzichteten dann auch beide Teams, um nicht schon vor Spielbeginn zuviel Kraft zu vergeuden. Lediglich ein paar Runden um das Oval dienten der Demonstration, daß man gelegentlich schon mal auf Schlittschuhkufen gestanden hatte. Der Ersatztorwart der Gäste konnte hier jedoch nicht ganz mithalten. Er absolvierte einige Ausrutscher und stolperte dann zurück zur Mannschaftsbank.

Endlich konnte das schnellste Spiel der Welt beginnen. Noch eine Traubenbildung vor den beiden Toren, ein gegenseitiger Anfeuerungsschrei (beide Teams beherrschten diesen nahezu perfekt: Bundesligareif!) und es war soweit.

Der EC Darmstadt ergriff von Beginn an die Offensive. Ein furioser Auftakt des Premierevereins, brachte schon nach wenigen Sekunden Spielzeit das 1:0. Der Gästekeeper war allerdings nicht ganz schuldlos an diesem Treffer, hatte er doch gerade noch seinen Vorderleuten ihre Positionen auf der Eisfläche angewiesen, als der Kapitän des ECD seinen stürmischen Angriff erfolgreich abschloß.

Bombenstimmung auf den Rängen in Weiterstadt - oh Verzeihung - hinter der Bande, denn Ränge waren ja nicht vorhanden. Die Frage nach dem Namen des Torschützen blieb unbeantwortet. Durchsagen wurden nur sehr spärlich eingestreut.

Das Spiel nahm nun seinen Lauf mit verteilten Rollen. Mal waren es die Därmstädter, mal die bayerischen Gäste, die sich auf der Eisfläche umherwälzten, was den unbestreitbaren Vorteil hatte, dass hierdurch der vom Publikumslauf liegengebliebenen Schnee etwas beiseite geräumt wurde. Eine kleine Randnotiz zum Spiel: Selbstverständlich gab es auch eine Zeitnahme bei diesem Match. Auf einer extra dafür installierten Schiefertafel, notierte ein Herr alle 2 Minuten die abgelaufenen Zeit mit einem Stück Schulkreide. (Anmerkung TecK am 2 Nov. 2004: Das war immerhin mehr, als was wir in dieser Saison bei unserem Konkurrenten in Wiesbaden geboten bekamen!!!)

Das erste Drittel wurde nach mehr oder weniger 20 Minuten reiner Spieldauer mittels einer Konservenhupe, wie sie die VfL-Fans in der Stehkurve zur Anfeuerung ihrer Lieblinge benutzten, abgeschlossen. 2:1 stand es zu diesem Zeitpunkt nach ausgeglichenem Spiel für die wackeren Cracks aus Darmstadt.

Nach der Pause - man blieb gleich auf der Mannschaftbank sitzen und schenkte sich den kräftezehrenden Gang in die Kabine, begann das Mitteldrittel. Aschaffenburg hatte die Pause dazu genutzt seinem 2. Torwart die Montur des im ersten Drittel eingesetzten Schlußmannes überzuziehen. Und so ging ein neuer, ausgeruhter Mann in die Schlacht. Wieder hatte dieser alle Mühe, die Distanz von der Mannschaftsbank zum Tor ohne direkten Körperkontakt mit der Eisfläche zu überbrücken. (Zum Glück hatte er ja einen Stock zum abstützen!) Doch als dieses Unterfangen erfolgreich beendet war, stand er nun fest wie ein Fels und versperrte mit seiner Körperfülle den heiligen Tempel.

Auf Aschaffenburger Seite hatte man zu einem raffinierten Trick gegriffen, um die Identifizierung des spielstärksten Spielers unmöglich zu machen: Man spielte einfach ohne Rückennummer. (Anmerkung TecK am 2 Nov. 2004: Hier war Wiesbaden findiger: Man benutzte immerhin Klebeband um einiger Spieler mit Rückennummern zu versehen!!!)

Die Darmstädter Stars hatten während der Pause zur Werterhaltung ihrer Schlittschuhe die Kufenschoner angelegt. Doch jetzt waren 4 Feldspieler wieder auf dem Eis. Sie glühten vor Ehrgeiz, was jeder Zuschauer förmlich spüren konnte. Auch der fünfte Mitstreiter verspürte diesen Elan. Mit einem gekonnten Sprung über die Bande, überfiel er das kalte Parkett. Leider hatte er vergessen seine Schlittschuhe vorher von den Schonern zu befreien und mußte somit zunächst einmal Bekanntschaft mit dem eisigen Boden machen. Auch in Darmstadt ist das Publikum schon recht schadenfroh, denn es beklatschte diesen Lapsus mehr als den 3:1-Treffer, Sekunden nach Wiederanpfiff.

Das 2. Drittel sah in den ersten Spielminuten eine wahre Torflut. Der Gästekeeper knallte unerschrocken jeden Schuß, der nicht den Weg ins Gehäuse finden wollte, selbst dort hinein. Ein 7:2 stand nach dem 2. Drittel für den ECD zu Buche.

In der zweiten Drittelpause wurde das Eis noch einmal aufbereitet, bevor der letzte Akt beginnen konnte. Konditionell ihrem Gegner überlegen, legten die Darmstädter Cracks gleich wieder Tor um Tor vor. Es dauerte nicht lange bis die Nummer 18, der überragende Spieler des ECD, ein zweistelliges Ergebnis herausgeschossen hatte. Nach 10 Minuten im letzten Drittel ertönte zum Erstaunen der Spieler und des fachkundigen Publikums die Konservensirene. Seitentausch deutete der Zeitnehmer an. Erst als der Darmstädter Trainer ihm erklärte, daß diese Handlung seit geraumer Zeit für Hallenspielbetrieb aus dem Reglement gestrichen wurde, setzte sich das Spiel fort. Die restlichen Tore verteilten sich noch 3:2 unter den beiden Teams, sodaß es am Ende einen 13:4 Erfolg für den Debütanten aus Darmstadt zu verbuchen gab.

Man feierte dann auch als habe man soeben Spartak Moskau besiegt.

Trotz aller kleinen Kuriositäten, verpasste das Spiel einem zur Abstinenz gezwungenen Eishockeyfan wieder einmal die geliebte Atmosphäre und zeigte zudem, daß man nicht alle Spiele ganz so verbissen sehen sollte. Einige Male ertappte ich mich sogar während des Spielverlaufs dabei, daß ich in gewohnter Manier zu einer Spielanweisung ansetzte (bekanntlich haben Zuschauer ja immer dem besten Überblick).

Auch wenn meine spontanen, bundesliga-erprobten Aufschreie ab und zu durch das Stadion hallten und mich zum entgeisterten Blickfang meiner Mitzuschauer verurteilten, so muß man sagen, daß der Anfang in Darmstadt gemacht ist. Und eines ist sicher: Die schlechteste Mannschaft spielt nicht in Darmstadt, was der deutliche Sieg gegen die Bayern eindrucksvoll bewies!

Nachbemerkung:
Tja, so war das Anfang der Achtziger. Man sollte aber diesen Bericht mit einem kleinen Augenzwinkern lesen. Zur Zeit seines Entstehens war es unvorstellbar, dass auch in Bad Nauheim einmal solch hilflose Zeiten hereinbrechen könnten. Schaut man heute in die Zukunft, muss man befürchten, dass die Apokalypse nicht mehr völlig ausgeschlossen ist. Was manch einer vielleicht als „Arroganz“ zwischen den Zeilen liest, war damals schieres Unvermögen in solch niedern Dimensionen zu denken. Fragen sie doch mal heute einen eingefleischten Bayern-Fan, ob er sich vorstellen könne, dass die Münchner nur noch A-Klasse spielen... Unmöglich!

Darmstadt hat sich inzwischen zu einem respektablen Hessenligisten gemauster mit berechtigten Ambitionen in die Oberliga vorzudringen. Bad Nauheim hingegen muss erst einmal verkraften, wo es nun gelandet ist. Ob es je wieder eine Rückkehr zu den „Goldenen Zeiten“ geben wird, ist in der hessischen Badestadt leider mehr als fraglich...

 
 

2. November 2004

 
 
 
 
 
 

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